Max Ernst
Mobiles Herbarium
1920
Gouache, Tusche, Bleistift und Collage, Überarbeitung eines Druckes. 14,3 x 21,3 cm. Gerahmt, zusätzlich in Objektkasten unter Glas gerahmt. Unten rechts schwarz signiert 'max ernst'. - In sehr guter, farbfrischer Erhaltung.Die Sammlung Peter Schneppenheim
Mit sechs Arbeiten von Max Ernst drei Gemälden, einer Plastik (Lots 32-35) und zwei Arbeiten auf Papier (Lots 211, 212, Auktion 1248, 5. Juni 2024), kommen ausgewählte Werke aus einer der bedeutendsten und umfangreichsten Sammlungen des deutsch-französischen Künstlers – die Sammlung Schneppenheim – zum Aufruf. Initiator dieser Sammlung war der Kölner Arzt Dr. Peter Schneppenheim (1926-2021), der die Werke über Jahrzehnte auf dem nationalen und internationalen Kunstmarkt zusammengetragen hatte. Dem beharrlichen und konstruktiven Engagement des Sammlers ist 2005 auch die Gründung des Max Ernst Museums in dessen Heimatstadt Brühl zu verdanken. Seine umfänglichen grafischen Bestände, die illustrierten Bücher und ausgewählte Gemälde bildeten den Grundstock des einmaligen Künstlermuseums.
Peter Schneppenheim war fast zwei Dekaden leitender Chefarzt im Heilig-Geist-Krankenhaus in Köln-Longerich. Ausgleich und Erfüllung fand er sowohl in der Musik und als auch in der Kunst, namentlich in den Werken des 1891 in Brühl geborenen Malers, Grafikers und Bildhauers Max Ernst dessen Schaffen ihm in Brühl und in Köln schon häufiger begegnet war. Eines der ersten Werke, das er bewusst wahrgenommen hatte, und bei dessen Betrachtung er sofort schmunzeln musste, war die Collage „C’est le chapeau qui fait l’homme“ von 1920. Das Schlüsselerlebnis zum Erwerb von dessen Werken war aber die erste namhafte, deutsche Retrospektive 1951 im Schloss Augustusburg in Brühl. Schneppenheim war sofort von der Vielfalt der Bildthemen und Techniken fasziniert: „Bei meiner Begeisterung für die ungewöhnlichen, bis dahin nie gesehenen Kunstwerke, wohl auch euphorisch beflügelt nach soeben bestandenem Staatsexamen, kam mir die Idee, nun selbst Bilder dieses Künstlers zu erwerben – beim Salär eines jungen Medizinalassistenten zunächst ein verwegener Wunschtraum, bis es zu ersten Arbeiten auf Papier reichte.“ (zit. nach: Max Ernst Graphische Welten, Ausst. Kat. Brühl 2004, S. 10).
Die anfängliche Begeisterung für Max Ernst ließ bei Schneppenheim nicht nach – ganz im Gegenteil, die zunehmende Beschäftigung mit dessen Lebensstationen und Schaffen, mit dessen innovativen Bildtechniken und literarischem Horizont führte mit der Zeit zu systematischen Ankäufen mit dem Ziel, das grafische Schaffen möglichst lückenlos abzudecken. Der Ankauf von überwiegend grafischen Arbeiten war – zumindest zu Anfang – eine bewusste Entscheidung. Schneppenheim bewies von Beginn an ein bestechend gutes Auge für Qualität und Einzigartigkeit und wählte die zentralen Werke Ernsts auf Papier aus. Im Jahr 1968 entschied er sich erstmals auch für den Kauf eines Ölgemäldes und erwarb die hier zum Aufruf kommende Landschaft „Les antipodes du paysage“ (Lot 34), die ihm der renommierte und auf Max Ernst spezialisierte Galerist Fritz Valentien in Stuttgart vermittelte. Bedeutsam ist dieses Gemälde auch, weil es den Ausgangspunkt für den thematischen Schwerpunkt der Sammlung auf Landschaften bildete.
Ein besonderes Ereignis der 1970er Jahre war die persönliche Begegnung Schneppenheims mit Max Ernst und seiner Frau Dorothea Tanning anlässlich einer Rheinfahrt 1971, die das Kölner Galeristenpaar Hein und Eva Stünke für den Künstler und seine Kunden organisiert hatte. Bis zum Tod von Max Ernst am 1. April 1976 konnte die Sammlung mit substanziellen Arbeiten erweitert werden.
Ein Höhepunkt für Schneppenheim war die erste öffentliche Ausstellung seiner Sammlung 1990 im Museum Ludwig in Köln. 2001 erwarb die Kreissparkasse Köln die graphischen Bestände der Sammlung, die Teil der „Stiftung Max Ernst“ wurden. Vier Jahre später erfüllte sich mit der Eröffnung des Max Ernst Museums in Brühl für den Sammler ein „lebenslanger Wunschtraum“.
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Mobiles Herbarium
Die wohl bekannteste und schönste Arbeit aus der wichtigen Werkreihe der Übermalungen, die Max Ernst in seiner Kölner Dada-Zeit schuf
Für Max Ernst bedeutete das Jahr 1919 einen maßgeblichen Wendepunkt, der die Weichen für seine künstlerische Zukunft legte. Seine Begegnung mit den metaphysischen Werken von Giorgio de Chirico und Carlo Carrà sorgte für die Abkehr von seiner bisherigen expressionistischen Malerei. Abgestoßen von den herrschenden gesellschaftlichen Bedingungen und konventionellen Kunstströmungen, gründete er gemeinsam mit Johannes Theodor Baargeld und Hans Arp die Kölner Dada-Gruppe. Die von ihnen herausgegebene Wochenschrift „Der Ventilator“ wurde von der britischen Militärregierung ebenso verboten wie die im November 1919 ausgerichtete Dada-Ausstellung im Kölnischen Kunstverein.
Ausschlaggebend für Ernsts Kunst wurde die dadaistische Idee, Darstellungen und Gegenstände der Alltagswelt aufzugreifen, mit künstlerischen Mitteln zu verändern und dadurch mit völlig anderen Bedeutungsebenen aufzuladen. Er bediente sich dabei der Holzassemblage, des Klischeedrucks und der Durchreibezeichnung, ab 1920 auch der Übermalung.
Als Quelle für diese Form der kreativen Transformation diente ihm ein Zufallsfund, der Lehrmittelkatalog „Bibliotheca Paedagogica“, in dem umfangreiches naturwissenschaftliches Anschauungsmaterial für Schulen dargestellt war. In seinen Erinnerungen schildert er die Wirkung, die dieser Fund auf ihn hatte: „1919. An einem Regentag in Köln am Rhein erregt der Katalog einer Lehrmittelanstalt meine Aufmerksamkeit. Ich sehe Anzeigen von Modellen aller Art, mathematische, geometrische, anthropologische, zoologische, botanische, anatomische, mineralogische, paläontologische und so fort. Elemente von so verschiedener Natur, dass die Absurdität ihrer Ansammlung blickverwirrend und sinnverwirrend wirkte. Halluzinationen hervorrief, den dargestellten Gegenständen neue, schnell wechselnde Bedeutungen gab. Ich fühlte mein ‚Sehvermögen‘ plötzlich so gesteigert, dass ich die neuentstandenen Objekte auf neuem Grund erscheinen sah.“ (Max Ernst zit. nach: DADAMAX, op. cit., S. 226). Max Ernst schuf in den Jahren 1920/1921 etwa 44 Übermalungen, neben den aus dem Lehrmittelkatalog stammenden auch größere auf Schautafeln und Tapeten.
„Mobiles Herbarium“ ist eine der schönsten und berühmtesten Arbeiten aus diesem Werkzyklus. Grundlage ist eine Bildtafel aus der Sektion Botanik des Kataloges (siehe Vgl. Abb.). Der Künstler verwandelte die dort gezeigten farblosen Schemazeichnungen verschiedener Baumblüten in eine kolorierte, zauberhafte Landschaft. Er überarbeitete die Pflanzenzeichnungen nicht nur farbig, sondern ergänzte sie auch um Stämme und Stängel und versetzte sie in eine weite Ebene mit einem Tafelberg, überfangen von einem leuchtend türkisblauen Himmel. Damit setzte er die aus ihrem Kontext gerissenen Pflanzenbestandteile gleichsam wieder in einen Boden ein und gab ihnen eine neuartige Autonomie. In die Pflanzen im rechten Bildteil eingezeichnete mechanische Elemente wie Gerüste, Gewichte, Schwungräder und Riemen verleihen den organischen Gewächsen eine technische Komponente, die die titelgebende Mobilität, vielleicht aber auch den ständigen Wandel natürlicher Prozesse thematisiert. Auf poetische Weise ließ Max Ernst aus den nüchternen Illustrationen eine märchenhafte Welt von rätselhafter Schönheit entstehen.WerkverzeichnisSpies/Metken 343ProvenienzHubert Berke, Köln; Sammlung Dr. Peter Schneppenheim, Köln; bis Anfang 2024 als Dauerleihgabe im Max-Ernst-Museum BrühlLiteraturhinweiseEduard Trier, Max Ernst Recklinghausen 1959, Abb. S. 32; Werner Spies, Max Ernst - Collagen. Inventar und Widerspruch, Köln 1974, Kat. Nr. 85 mit Abb. sowie S. 26 u. 54; Ludger Derenthal/Jürgen Pech, Max Ernst Paris 1992, Farbabb. 42, S. 29; Eduard Trier, Schriften zu Max Ernst hrsg. v. Jürgen Pech, Köln 1993, mit Abb. S. 34; Werner Spies (Hg.), Max Ernst - Leben und Werk, Köln 2005, Farbabb. S. 64; Darwin. Kunst und die Suche nach den Ursprüngen, Ausst. Kat. Schirn Kunsthalle, Frankfurt am Main 2009, Farbabb. S. 58AusstellungKöln/Zürich 1962/1963 (Wallraf-Richartz-Museum/Kunsthaus), Max Ernst Kat. Nr. 127; Stockholm 1969 (Moderna Museet), Max Ernst Malningar, collage, frottage, teckningar, grafik, böcker, skulpturer 1917-1969, Kat. Nr. 116 mit Abb. S. 28; Amsterdam 1969/1970 (Stedelijk Museum), Max Ernst Kat. Nr. 101, S. 24; Stuttgart 1970 (Württembergischer Kunstverein), Max Ernst Kat. Nr. 126, S. 150 mit Abb. S. 75; Krefeld 1972 (Kunstverein), Max Ernst Frottagen und Collagen, Kat. Nr. 13; Zürich/Frankfurt am Main/München 1978/1979 (Kunsthaus/Städt. Galerie im Städelschen Kunstinstitut/Städt. Galerie im Lenbachhaus), Max Ernst Frottagen, Collagen, Zeichnungen, Graphik, Bücher, Kat. Nr. 21, S. 161 mit Abb. S. 31; Köln 1980 (Kölnischer Kunstverein), Max Ernst in Köln. Die rheinische Kunstszene bis 1922, Kat. Nr. 72, S. 327; Brühl 1982 (Max-Ernst-Kabinett), DADAMAX 1919-1921, Kat. Nr. 8, S. 226 ff., mit Abb. S. 229; Tübingen/Bern/Düsseldorf/Hamburg 1988/1989 (Kunsthalle/Kunstmuseum/Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen/Kunsthalle), Max Ernst Die Welt der Collage, Kat. Nr. 19, S. 506 mit Abb. 85 u. Farbabb. 9; Berlin/München 1999 (Nationalgalerie/Haus der Kunst), Max Ernst Die Retrospektive, Kat. Nr. 11, S. 30; Paris 2002 (Centre Georges Pompidou), La Révolution surréaliste, o. Kat. Nr., S. 434; Düsseldorf 2002 (K20 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen), Surrealismus 1919-1944, o. Kat. Nr., S. 456; New York 2005 (The Metropolitan Museum of Art), Max Ernst A Retrospective, Kat. Nr. 9, S. 116 mit Farbabb.; Basel 2007/2008 (Museum Tinguely), Max Ernst Im Garten der Nymphe Ancolie, Kat. Nr. 3, S. 217, mit Farbabb. S. 83; Brühl 2013 (Max Ernst Museum des LVR), Das 20. Jahrhundert - Werke von Max Ernst aus der Schneppenheim-Stiftung, S. 46/47 mit Farbabb., S. 161 f.; Brühl 2023/2024 (Max Ernst Museum des LVR), Surreal futures, S. 148/149 mit Farbabb.
Max Ernst
Mobiles Herbarium
1920
Gouache, Tusche, Bleistift und Collage, Überarbeitung eines Druckes. 14,3 x 21,3 cm. Gerahmt, zusätzlich in Objektkasten unter Glas gerahmt. Unten rechts schwarz signiert 'max ernst'. - In sehr guter, farbfrischer Erhaltung.Die Sammlung Peter Schneppenheim
Mit sechs Arbeiten von Max Ernst drei Gemälden, einer Plastik (Lots 32-35) und zwei Arbeiten auf Papier (Lots 211, 212, Auktion 1248, 5. Juni 2024), kommen ausgewählte Werke aus einer der bedeutendsten und umfangreichsten Sammlungen des deutsch-französischen Künstlers – die Sammlung Schneppenheim – zum Aufruf. Initiator dieser Sammlung war der Kölner Arzt Dr. Peter Schneppenheim (1926-2021), der die Werke über Jahrzehnte auf dem nationalen und internationalen Kunstmarkt zusammengetragen hatte. Dem beharrlichen und konstruktiven Engagement des Sammlers ist 2005 auch die Gründung des Max Ernst Museums in dessen Heimatstadt Brühl zu verdanken. Seine umfänglichen grafischen Bestände, die illustrierten Bücher und ausgewählte Gemälde bildeten den Grundstock des einmaligen Künstlermuseums.
Peter Schneppenheim war fast zwei Dekaden leitender Chefarzt im Heilig-Geist-Krankenhaus in Köln-Longerich. Ausgleich und Erfüllung fand er sowohl in der Musik und als auch in der Kunst, namentlich in den Werken des 1891 in Brühl geborenen Malers, Grafikers und Bildhauers Max Ernst dessen Schaffen ihm in Brühl und in Köln schon häufiger begegnet war. Eines der ersten Werke, das er bewusst wahrgenommen hatte, und bei dessen Betrachtung er sofort schmunzeln musste, war die Collage „C’est le chapeau qui fait l’homme“ von 1920. Das Schlüsselerlebnis zum Erwerb von dessen Werken war aber die erste namhafte, deutsche Retrospektive 1951 im Schloss Augustusburg in Brühl. Schneppenheim war sofort von der Vielfalt der Bildthemen und Techniken fasziniert: „Bei meiner Begeisterung für die ungewöhnlichen, bis dahin nie gesehenen Kunstwerke, wohl auch euphorisch beflügelt nach soeben bestandenem Staatsexamen, kam mir die Idee, nun selbst Bilder dieses Künstlers zu erwerben – beim Salär eines jungen Medizinalassistenten zunächst ein verwegener Wunschtraum, bis es zu ersten Arbeiten auf Papier reichte.“ (zit. nach: Max Ernst Graphische Welten, Ausst. Kat. Brühl 2004, S. 10).
Die anfängliche Begeisterung für Max Ernst ließ bei Schneppenheim nicht nach – ganz im Gegenteil, die zunehmende Beschäftigung mit dessen Lebensstationen und Schaffen, mit dessen innovativen Bildtechniken und literarischem Horizont führte mit der Zeit zu systematischen Ankäufen mit dem Ziel, das grafische Schaffen möglichst lückenlos abzudecken. Der Ankauf von überwiegend grafischen Arbeiten war – zumindest zu Anfang – eine bewusste Entscheidung. Schneppenheim bewies von Beginn an ein bestechend gutes Auge für Qualität und Einzigartigkeit und wählte die zentralen Werke Ernsts auf Papier aus. Im Jahr 1968 entschied er sich erstmals auch für den Kauf eines Ölgemäldes und erwarb die hier zum Aufruf kommende Landschaft „Les antipodes du paysage“ (Lot 34), die ihm der renommierte und auf Max Ernst spezialisierte Galerist Fritz Valentien in Stuttgart vermittelte. Bedeutsam ist dieses Gemälde auch, weil es den Ausgangspunkt für den thematischen Schwerpunkt der Sammlung auf Landschaften bildete.
Ein besonderes Ereignis der 1970er Jahre war die persönliche Begegnung Schneppenheims mit Max Ernst und seiner Frau Dorothea Tanning anlässlich einer Rheinfahrt 1971, die das Kölner Galeristenpaar Hein und Eva Stünke für den Künstler und seine Kunden organisiert hatte. Bis zum Tod von Max Ernst am 1. April 1976 konnte die Sammlung mit substanziellen Arbeiten erweitert werden.
Ein Höhepunkt für Schneppenheim war die erste öffentliche Ausstellung seiner Sammlung 1990 im Museum Ludwig in Köln. 2001 erwarb die Kreissparkasse Köln die graphischen Bestände der Sammlung, die Teil der „Stiftung Max Ernst“ wurden. Vier Jahre später erfüllte sich mit der Eröffnung des Max Ernst Museums in Brühl für den Sammler ein „lebenslanger Wunschtraum“.
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Mobiles Herbarium
Die wohl bekannteste und schönste Arbeit aus der wichtigen Werkreihe der Übermalungen, die Max Ernst in seiner Kölner Dada-Zeit schuf
Für Max Ernst bedeutete das Jahr 1919 einen maßgeblichen Wendepunkt, der die Weichen für seine künstlerische Zukunft legte. Seine Begegnung mit den metaphysischen Werken von Giorgio de Chirico und Carlo Carrà sorgte für die Abkehr von seiner bisherigen expressionistischen Malerei. Abgestoßen von den herrschenden gesellschaftlichen Bedingungen und konventionellen Kunstströmungen, gründete er gemeinsam mit Johannes Theodor Baargeld und Hans Arp die Kölner Dada-Gruppe. Die von ihnen herausgegebene Wochenschrift „Der Ventilator“ wurde von der britischen Militärregierung ebenso verboten wie die im November 1919 ausgerichtete Dada-Ausstellung im Kölnischen Kunstverein.
Ausschlaggebend für Ernsts Kunst wurde die dadaistische Idee, Darstellungen und Gegenstände der Alltagswelt aufzugreifen, mit künstlerischen Mitteln zu verändern und dadurch mit völlig anderen Bedeutungsebenen aufzuladen. Er bediente sich dabei der Holzassemblage, des Klischeedrucks und der Durchreibezeichnung, ab 1920 auch der Übermalung.
Als Quelle für diese Form der kreativen Transformation diente ihm ein Zufallsfund, der Lehrmittelkatalog „Bibliotheca Paedagogica“, in dem umfangreiches naturwissenschaftliches Anschauungsmaterial für Schulen dargestellt war. In seinen Erinnerungen schildert er die Wirkung, die dieser Fund auf ihn hatte: „1919. An einem Regentag in Köln am Rhein erregt der Katalog einer Lehrmittelanstalt meine Aufmerksamkeit. Ich sehe Anzeigen von Modellen aller Art, mathematische, geometrische, anthropologische, zoologische, botanische, anatomische, mineralogische, paläontologische und so fort. Elemente von so verschiedener Natur, dass die Absurdität ihrer Ansammlung blickverwirrend und sinnverwirrend wirkte. Halluzinationen hervorrief, den dargestellten Gegenständen neue, schnell wechselnde Bedeutungen gab. Ich fühlte mein ‚Sehvermögen‘ plötzlich so gesteigert, dass ich die neuentstandenen Objekte auf neuem Grund erscheinen sah.“ (Max Ernst zit. nach: DADAMAX, op. cit., S. 226). Max Ernst schuf in den Jahren 1920/1921 etwa 44 Übermalungen, neben den aus dem Lehrmittelkatalog stammenden auch größere auf Schautafeln und Tapeten.
„Mobiles Herbarium“ ist eine der schönsten und berühmtesten Arbeiten aus diesem Werkzyklus. Grundlage ist eine Bildtafel aus der Sektion Botanik des Kataloges (siehe Vgl. Abb.). Der Künstler verwandelte die dort gezeigten farblosen Schemazeichnungen verschiedener Baumblüten in eine kolorierte, zauberhafte Landschaft. Er überarbeitete die Pflanzenzeichnungen nicht nur farbig, sondern ergänzte sie auch um Stämme und Stängel und versetzte sie in eine weite Ebene mit einem Tafelberg, überfangen von einem leuchtend türkisblauen Himmel. Damit setzte er die aus ihrem Kontext gerissenen Pflanzenbestandteile gleichsam wieder in einen Boden ein und gab ihnen eine neuartige Autonomie. In die Pflanzen im rechten Bildteil eingezeichnete mechanische Elemente wie Gerüste, Gewichte, Schwungräder und Riemen verleihen den organischen Gewächsen eine technische Komponente, die die titelgebende Mobilität, vielleicht aber auch den ständigen Wandel natürlicher Prozesse thematisiert. Auf poetische Weise ließ Max Ernst aus den nüchternen Illustrationen eine märchenhafte Welt von rätselhafter Schönheit entstehen.WerkverzeichnisSpies/Metken 343ProvenienzHubert Berke, Köln; Sammlung Dr. Peter Schneppenheim, Köln; bis Anfang 2024 als Dauerleihgabe im Max-Ernst-Museum BrühlLiteraturhinweiseEduard Trier, Max Ernst Recklinghausen 1959, Abb. S. 32; Werner Spies, Max Ernst - Collagen. Inventar und Widerspruch, Köln 1974, Kat. Nr. 85 mit Abb. sowie S. 26 u. 54; Ludger Derenthal/Jürgen Pech, Max Ernst Paris 1992, Farbabb. 42, S. 29; Eduard Trier, Schriften zu Max Ernst hrsg. v. Jürgen Pech, Köln 1993, mit Abb. S. 34; Werner Spies (Hg.), Max Ernst - Leben und Werk, Köln 2005, Farbabb. S. 64; Darwin. Kunst und die Suche nach den Ursprüngen, Ausst. Kat. Schirn Kunsthalle, Frankfurt am Main 2009, Farbabb. S. 58AusstellungKöln/Zürich 1962/1963 (Wallraf-Richartz-Museum/Kunsthaus), Max Ernst Kat. Nr. 127; Stockholm 1969 (Moderna Museet), Max Ernst Malningar, collage, frottage, teckningar, grafik, böcker, skulpturer 1917-1969, Kat. Nr. 116 mit Abb. S. 28; Amsterdam 1969/1970 (Stedelijk Museum), Max Ernst Kat. Nr. 101, S. 24; Stuttgart 1970 (Württembergischer Kunstverein), Max Ernst Kat. Nr. 126, S. 150 mit Abb. S. 75; Krefeld 1972 (Kunstverein), Max Ernst Frottagen und Collagen, Kat. Nr. 13; Zürich/Frankfurt am Main/München 1978/1979 (Kunsthaus/Städt. Galerie im Städelschen Kunstinstitut/Städt. Galerie im Lenbachhaus), Max Ernst Frottagen, Collagen, Zeichnungen, Graphik, Bücher, Kat. Nr. 21, S. 161 mit Abb. S. 31; Köln 1980 (Kölnischer Kunstverein), Max Ernst in Köln. Die rheinische Kunstszene bis 1922, Kat. Nr. 72, S. 327; Brühl 1982 (Max-Ernst-Kabinett), DADAMAX 1919-1921, Kat. Nr. 8, S. 226 ff., mit Abb. S. 229; Tübingen/Bern/Düsseldorf/Hamburg 1988/1989 (Kunsthalle/Kunstmuseum/Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen/Kunsthalle), Max Ernst Die Welt der Collage, Kat. Nr. 19, S. 506 mit Abb. 85 u. Farbabb. 9; Berlin/München 1999 (Nationalgalerie/Haus der Kunst), Max Ernst Die Retrospektive, Kat. Nr. 11, S. 30; Paris 2002 (Centre Georges Pompidou), La Révolution surréaliste, o. Kat. Nr., S. 434; Düsseldorf 2002 (K20 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen), Surrealismus 1919-1944, o. Kat. Nr., S. 456; New York 2005 (The Metropolitan Museum of Art), Max Ernst A Retrospective, Kat. Nr. 9, S. 116 mit Farbabb.; Basel 2007/2008 (Museum Tinguely), Max Ernst Im Garten der Nymphe Ancolie, Kat. Nr. 3, S. 217, mit Farbabb. S. 83; Brühl 2013 (Max Ernst Museum des LVR), Das 20. Jahrhundert - Werke von Max Ernst aus der Schneppenheim-Stiftung, S. 46/47 mit Farbabb., S. 161 f.; Brühl 2023/2024 (Max Ernst Museum des LVR), Surreal futures, S. 148/149 mit Farbabb.
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